Dienstag, 18. Dezember 2012

Off-topic, Frust-Abladeplatz


Vor ein paar Tagen gab es auf facebook eine Konversation, die mir nachhaltig zu denken gab. Und weil es mir irgendwie nicht gelingt, die ganze Sache in Gedanken einfach abzuhaken (was sicherlich ein Fehler von mir ist), werd ich Euch einfach teilhaben lassen. Ein Bekannter von mir fragte, warum eigentlich "Blu-ray" so geschrieben wird, wie es geschrieben wird (nämlich falsch, wenn man das so sagen möchte), und wer sich das ausgedacht hätte. Es antwortete zuerst ein Freund von ihm mit der kurzen Information: "Sony". Ich schrieb drunter: "definitiv irgendein Japaner, das ist hier normal (Englisch mit Schreibfehlern, meine ich)". Voraufhin ich mir den Vorwurf eingehandelt habe, das wäre ja "racism @ its best".

Ooooookaaaaaaaay.

Auf meinen Hinweis, dass ich aus eigener/persönlicher Erfahrung spreche, wurde ich dann mit dem Wikipedia-Artikel zu Rassismus belehrt. Ach ja, und, sich in einem Studium mit Japan zu beschäftigen, schütze ja nicht vor rassistischen Anwandlungen. Das ist jetzt in der Sache vielleicht nicht falsch, wirft aber doch Fragen auf. Warum zum Henker sollte ich mich auf universitärem Niveau mit Japan beschäftigen UND ein Auslandssemester in Japan machen, wenn ich doch Japaner (und am Ende vielleicht alle außer den Deutschen) für minderwertig hielte? Hat mich irgendwer unter Waffengewalt gezwungen? Müsste ich dann nicht besser Germanistin sein?


 
Nein, nicht Okay.

Ich habe tagelang darüber nachgedacht, wie man bitte von meiner Aussage zum Rassismusvorwurf kommt, und ich komme zu dem Ergebnis, dass man hier mindestens drei Dinge miteinander kombinieren muss.
1) Man darf keine Ahnung von Japan haben, 2) man muss mir unterstellen, ich hätte eigentlich gemeint "die Japaner sind genetisch nicht in der Lage, englische Wörter richtig zu schreiben (was sie zu einem verachtenswerten und minderwertigen Volk macht)" und man muss 3) das unbedingte Sendungsbewusstsein haben, auf den geringsten Verdacht einer Ungerechtigkeit erst mal mit Dreck zu werfen und sich nicht mit irgendwelchen Nachfragen aufzuhalten.
Einen weiteren halben Tag habe ich darauf verwandt, mir zu überlegen, wer eigentlich dieser "Sony" ist, der ja Schuld haben soll am "falsch" geschriebenen Namen der Blu-ray. Tja, wer ist wohl dieser "Sony"... Gut, spätestens hier sollte ich mir sagen: war halt nicht der lichteste Moment von S., Sony verantwortlich zu machen, aber auf die Japaner an und für sich nichts kommen lassen zu wollen. Aber wir kann man denn so... AAAAARRRRGGGGGHHHHH. Ich reg mich schon wieder auf. 

Falls es irgendwen interessiert: wenn ich das richtig verstanden/beobachtet habe, liegt die allgemein feststellbare Schwäche der Japaner in Fremdsprachen an zwei Hauptfaktoren. Zum einen ist der Fremdsprachenunterricht hier einfach nicht gut (sehr darauf orientiert, grammatikalische Wendungen auswendig zu lernen, kaum auf praktische Anwendung hin ausgerichtet. Was ich am Japanisch-Unterricht von japanischen Lehrern auch am eigenen Leib erfahren durfte UND was von meinen japanischen Mitstudentinnen genau so bestätigt wurde) und zum anderen verwenden die meisten Lehrer im Unterricht wenigstens teilweise eine Umschrift in eines der japanischen Alphabete. Probleme dabei: es handelt sich um eine Silbenschrift, es wird umschrieben "wie man spricht" und folglich: stumme Buchstaben können nicht umgeschrieben werden. Wie auch? So ist das E von Blue dann vielleicht einfach mal den Bach runter gegangen, weil man es halt nicht hört. Wäre meine Vermutung. (Hinzu kommt, dass es sich ja um eine Kreation eines Eigennamens handelt - vielleicht gibt es in diesem Fall gar kein "falsch" oder "richtig". Das wäre aber eine andere Frage.) Zusammenfassend: Es gibt hier sehr viele Beispiele für schlechtes oder falsches Englisch, wir treffen quasi täglich drauf. Dass das so ist, ist aus dem System heraus ganz einfach und logisch zu erklären ohne auch nur ansatzweise irgendeine Wertung auszusprechen.

In diesem Zusammenhang fände ich persönlich die folgenden Fragen interessant: Wieso ist diese - für Menschen, die englisch einigermaßen sprechen und verstehen - offensichtliche "Schwäche" in Japan selbst einfach mal total egal und interessiert niemanden? Warum meinen die Deutschen eigentlich, immer alles "richtig" machen zu müssen?
Fragen, die sich weiterhin stellen: Bin ich schon Rassist, wenn ich feststelle, dass es Unterschiede auf dieser Welt gibt? Oder muss schon noch eine vermeintliche Wertung mit dazu? Oder müsste ich für meine Wertung dann auch irgendwie genetische / rassische / (wie sagt man das denn?) Gründe anführen? Meine Befürchtung ist ja: es gibt hyperaktive politisierte Gutmenschen in Deutschland, für die in der Tat die Feststellung, dass es halt woanders anders ist, schon eine Abwertung bedeutet. Was dann ein rotes Tuch ist, das Rest-Hirn ausschaltet und einen sofortigen Beiss-Reflex auslöst. Aber ich spekuliere.
Und die Bewertung von Schulunterricht nach Qualitätskriterien in Sachen Anwendbarkeit und Nutzen ist wohl mindestens eurozentristisch. Es wäre ja theoretisch auch Schule denkbar, die gar keinen Nutzen anstrebt, sondern reiner Zeitvertreib ist. Auf einer anderen Welt vielleicht.
Ist es ein rassistisch motivierter Affront, wenn ich sage, in Japan ist der Englischunterricht vielleicht nicht so gut wie in Schland? Oder beweist es nur, dass ich meine westliche Sicht der Dinge verinnerlicht habe und meine Kriterien und Ansprüche von gutem Unterricht einfach auf den Rest der Welt projiziere? Was man auf jeden Fall wieder hinterfragen müsste, spätestens wenn die Japaner für sich andere Kriterien beanspruchen würden. Aber wir diskutierten irgendwie nicht auf der Beobachter-zweiter-Ordnung- resp. Meta-Ebene.

"Hey, wenn dich der Vorwurf so doll trifft, dann muss ja was dran sein" - ich hör's schon. Auch darüber hab ich mir Gedanken gemacht und komme zu dem Schluss: das stimmt so nicht. Ja, der Vorwurf trifft mich, und zwar genau, weil ich auf dieses Thema einfach empfindlich reagiere. Und das nicht, weil ich da etwas zu verbergen hätte, sondern weil ich mir der Problematik einfach sehr bewußt bin. So gesehen sind mein besonderer neuer Freund S. und ich wohl tatsächlich auf der gleichen Seite. Und das ist am Ende vielleicht für uns beide keine gute Nachricht.

Wo wir gerade beim Thema sind... Sinnfrei - ist den Japanern aber egal. Vermutlich zu recht.
Na klar, schriftliche Kommunikation ist am Ende noch mehr Glücksache als Kommunikation von Mensch zu Mensch. Je mehr Medium, desto weniger direkte Wahrnehmung, desto weniger Verständnis. Und ich weiß, ich sollte nichts von dem Ernst nehmen, was im Internet irgendwer über irgendwen sagt. Fällt mir schwer, leider.
So, genug gejammert. Vielleicht hab ich den Frust über zu wenig Hirn in zu vielen Köpfen ja jetzt von der Seele schreiben können. Einen Versuch war es wert. Entschuldigt mein soziologisch durchwachsenes Kauderwelsch, ihr müsst mir nicht unbedingt folgen können. Aber echt nett, dass ihr das alles gelesen habt! :-)


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